Regionalmanagement Thüringer Bogen:

Das war’s. Der März empfängt Angela Gräser im Ruhestand. Die Gothaer Streetworkerin hat nach mehr als 29 Jahren den sprichwörtlichen Mantel an den ebensolchen Nagel gehängt. „Und damit ist eine Ära unwiderruflich zu Ende“, sagt Petra Grensemann, Geschäftsführerin des Kreisjugendrings Gotha. Simon Baumann, langjährige Leiterin des Jugendamts vom Landkreis Gotha, bestätigt das. Für sie ist es auch heute noch erstaunlich, wie angstfrei sich die Streetworkerin in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern bewegt hat.

Und Baumann ist sicher: Solch‘ eine Mitarbeiterin wie Angela Gräser wird es beim Kreisjugendring nicht mehr geben. Diese Lücke, sagt sie, sei nicht zu schließen. Das weiß auch Petra Grensemann. Doch ist sie überzeugt, dass neue Streetworker sich der Aufgabe stellen werden, dabei freilich andere Wege gehen werden, um ans Ziel zu kommen. Doch was heißt Ziel; im Umgang mit Menschen, deren Leben von Drogen beherrscht wird, sah sich die Streetworkerin oftmals kurz vor Erreichen der Ziellinie um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. „Und doch hat Angela nie aufgegeben, hat Sisyphus gleich wieder zum Gipfel gestrebt“, beschreibt die ehemalige Jugendamtsleiterin.

Angefangen hat alles 1995, am 1. Februar. Im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme begann Gräser ihre Tätigkeit, zunächst beschränkt auf 32 Stunden und befristet auf ein Jahr. Das alles hat die junge Frau nicht davon abgehalten, sich in ihre Aufgabe zu stürzen – und zu lernen. Wie oft Wirklichkeit und Anspruch auseinanderklafften, wie oft die Realität ganz anders aussah, als sie sich vorstellte, das waren einprägsame Lehrbeispiele für die junge Frau. Sie haben sie letztlich geformt und zu der Ansprechpartnerin für Leute in Not gemacht. „Vielen Klienten bin ich erstmals begegnet, als sie im Jugendalter sich mit Problemen herumschlagen mussten. Heute sind sie erwachsen und suchen als Eltern Hilfe bei uns. Und manchmal sind es auch deren Kinder, die an der Tür klopfen“, erinnert sich Angela Gräser.

Garant für ihre erfolgreiche Arbeit war vor allem das Netzwerk, das sie um sich herum aufgebaut hatte. Ihre Kontakte zur Polizeiinspektion, zu den Bewährungshelfern, zu Schulsozialarbeitern und weiteren Einrichtungen setzte sie ein, um ihren Klienten zu helfen. Sie fuhr mit ihnen zur Entgiftung, sie kümmerte sich darum, dass junge Erwachsene, die den Weg aus ihrer Abhängigkeit geschafft hatten, Arbeit und Wohnung bekamen. Und da gab es manchen Stein aus dem Weg zu räumen. Wie bei dem jungen Paar, das einfach keine Wohnung fand, weil die Frau bereits zwei Zwangsräumungen hinter sich hatte. Da die Vermieter Schlimmes ahnten, lehnten sie allesamt ab. Dass die Zwangsräumungen Ursachen hatten, die nicht bei der jungen Frau, sondern dem ehemaligen Lebenspartner zu suchen sind, konnten die Vermieter nicht wissen. Als das Problem beseitigt war, tat sich sogleich ein neues auf. Die junge Frau hatte einen Schufa-Eintrag, mit Blick darauf wurde erneut ein Mietvertrag verweigert. „Von solchen Dingen darf man sich nicht entmutigen lassen“, sagt die scheidende Streetworkerin. „Die Flinte ins Korn zu werfen, ist ein fatales Signal für die Klienten.“

Jährlich am 21. Juli organisierte sie den Gedenktag für „verstorbene Drogengebrauchende“. Das sei ihr immer wieder schwer zu Herzen gegangen, sagt ihre ehemalige Chefin. „Das hat so deutlich augenfällig gemacht, wie machtlos wir dem Tod gegenüberstehen.“ Und trotzdem hat Gräser dagegen angekämpft. Im Wesentlichen ist ihr zu danken, dass gemeinsam mit Dr. Markert das Substitutionsprogramm nach Gotha geholt und in ein breites Netzwerk eingebunden wurde. Sie war es auch, die erkannte, wie wichtig Prävention besonders an Schulen ist. „Angela entwickelte Programme wie Alice im Wunderland oder SOS, was für Schule ohne Stress steht“, so Grensemann.

Am Mittwoch traf sich Angela Gräser mit all jenen, die ihr in den fast drei Jahrzehnten verlässliche Partner waren. Bei einem kleinen Imbiss entwickelten sich rasch Gespräche, die sich nicht nur um gemeinsame Erinnerungen drehten. Die Streetworkerin Angela Gräser wird fehlen – ihr Fachwissen, ihre Empathie, ihre Verlässlichkeit und ihr Mut. Besonders jenen, die durch ihre Abhängigkeit an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind.

Bild: Angela Gräser (vorn), dahinter Simone Baumann und Petra Grensemann | © Klaus-Dieter Simmen

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