Regionalmanagement Thüringer Bogen:

Um ein Haar hätten Interessenten ins Grassi-Museum nach Leipzig reisen müssen, wenn sie einen Blick auf die Firmengeschichte der Kellner-Steckfiguren werfen wollten. Hans-Georg Kellner, jetziger Firmeninhaber, hatte die Idee, all das, was aus den 110 Jahren zusammengetragen ist, einem Museum anzubieten. Einzig die Leipziger Sammlung zeigte sich aufgeschlossen, wohl auch, weil hier 1914 die Unternehmensgeschichte beginnt. „Dann kam Corona, das Treffen mit den Museumsleuten fiel aus“, sagt Kellner, „und ich hatte plötzlich genügend Zeit, das kleine Museum am Standort selbst einzurichten.“

Zugegeben, ein Publikumsrenner ist es nicht. Doch diejenigen, die sich für eine Führung anmelden, zeigen sich am Ende beeindruckt. Die Ausstellung auf dem Firmengelände der Kellner Steckfiguren in der Langenhainer Straße in Bad Tabarz zeigt nicht nur 110 Jahre Firmengeschichte, sondern beleuchtet auch die Zeit vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur friedlichen Revolution 1989.

Danach übernahm Hans-Georg die Firma wieder in Familienbesitz, die 1972 der Verstaatlichungswelle der DDR zum Opfer fiel. Auch über diese Zeit kann viel gesagt werden.

Doch das sollen andere tun, ich werde meine Arbeit nicht selbst beurteilen,

sagt er. Der Besucher beginnt seine Zeitreise um 1900 herum und trifft auf einen Schornsteinfeger, der gar keiner sein will. Georg Kellner, der Großvater des heutigen Firmenchefs, will lieber Dinge mit den Händen entstehen lassen. Er verabschiedet sich von Kaminbesen und Co. und lernt Klavierbauer. Sein Lehrmeister ist begeisterter Flugpionier und baut auch Flugzeugmodelle. Kellner ist rasch infiziert. Die Spielwarenfabrik, die er am Vorabend des Ersten Weltkrieges in Sachsen eröffnet, produziert genau das: Flugzeugmodelle und Flugzeugmodellbaukästen. Das kam an bei der fortschrittbegeisterten Kundschaft. Später erweiterte Kellner die Produktion und brachte Modellschiffe auf den Markt, solche die als Dampf-, Elektro- und Federaufzugsboote funktionierten. Bereits hier lieferte Kellner seine Erzeugnisse in die weite Welt.

In der Weltwirtschaftskrise interessierte sich kaum noch einer für diesen Luxus.

Mein Großvater reagierte, wie wir im kleinen Museum eindrucksvoll sehen,

erzählt Hans-Georg. 1934 brachte er die ersten Steckfiguren auf den Markt, produziert in Tabarz. Und das neue Spielzeug floppte. Georg Kellner reagierte und verkaufte das Patent nach England. Folglich entstanden Steckfiguren nun in London.

Das muss man sich vorstellen, sagt der Enkel bewundernd, mein Opa hat ohne Internet die Firma in Leipzig, in Tabarz und in London gemanagt.

Auch die Engländer zeigten sich wenig angetan von den Steckfiguren, so dass die Fertigung wieder zurück ins Thüringische kam. Hier wurde daraus am Ende doch noch eine Erfolgsgeschichte. Und Georg Kellner setzte immer wieder neue Ideen um, Baukästen, die den beliebten Stabilbaukästen ähnelten, die Komponenten jedoch aus Holz waren. Die Ausstellung zeigt die ganze Bandbreite Kellnerschen Erfindungsreichtums. Spielzeuge für Kindergärten, Gesellschaftsspiele, Tischbillard, Holzroller und und und.

Die Firma im Leipzig wurde im Zweiten Weltkrieg Opfer eines Bombenangriffs. Die Produktion kam gänzlich nach Tabarz. Hier hatte der Großvater, der regelmäßig zur Kur in Bad Liebenstein weilte, sich niedergelassen, um vor der schlechten Leipziger Luft zu fliehen, wie der Enkel vermutet. Die Firma Kellner im Kurort widerspiegelt die Industriegeschichte jener Jahre.

Wer weiß schon noch, dass die Amerikaner nach ihrem Einmarsch mit Kriegsende in Tabarz das Radfahren verboten?,

fragt Hans-Georg Keller. Die Ausstellung zeigt ein Schreiben, dass seinem Vater das Radfahren im Ort erlaubte.

Später kamen dann die Russen, da brauchte es einen solchen Erlaubnisschein, um Auto fahren zu dürfen.

Auch dieser ist zu sehen, ausgestellt auf Georg Kellner.

Dargestellt ist ebenso, dass der Großvater sich nicht nur Gedanken über Spielzeuge gemacht hat. Weil er selbst ausgebombt war, in Leipzig und in Berlin, setzte sich Georg Kellner ans Reißbrett und entwickelte ein Fertigteilhaus, vergleichbar mit einem heutigen Tinyhaus.

Mein Opa nannte das Behelfshaus. Mit wenigen Mitteln, Zollstock, Wasserwaage, Hammer und Nagel konnten sich die Menschen ein Häuschen bauen.

So ist der Weg durch die Firmengeschichte auch ein Gang durch die Weltgeschichte im Kleinen. Das sogenannte Dritte Reich mit Krieg und Verderben, die DDR, die sich 1972 das Unternehmen unter den Nagel riss bis hin zur Wiedervereinigung sind beispielhaft zu erleben. Wer Interesse hat: Hans-Georg Kellner führt durch die Geschichte nach telefonischer Terminvereinbarung: 036259 63 092.

Bild: Kellner Steckfiguren | © Klaus-Dieter Simmen

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