Braucht’s im kleinen Ort Geschwenda in der Gemeinde Geratal in der Tat einen Einkaufsladen, der rund um die Uhr, 24 Stunden an jedem Wochentag geöffnet ist? „Aber sicher doch“, sagt Ludwig Reuß. Denn der 24-Stunden-Markt sei eine sehr gut angenommene Einkaufsquelle in der Gemeinde.
Früher gab es noch einen Supermarkt, doch der schloss seine Tür schon vor vielen Jahren. Deshalb mussten die Geschwendaer, wenn sie Waren des täglichen Bedarfs brauchten, die Angebote in den Nachbargemeinden nutzen. Das stellte besonders jene vor große Herausforderungen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht mobil sind. „Und was Einkaufen in der Nacht betrifft: Wir sind erstaunt, wie oft diese Möglichkeit genutzt wird. Jede Türöffnung wird protokolliert, samt Uhrzeit. Da wissen wir ganz genau, wann jemand eingekauft hat“, erklärt Reuß und fügt an, dass oftmals auch sonntags der Laden frequentiert werde.
24-Stunden-Läden, die nur mittels einer Chipkarte zu betreten sind und wo an einer sogenannten Selbstbedienungskasse bezahlt wird, haben in Thüringen Konjunktur. Allerdings läuft es nicht ohne Probleme. Für manche Läden beginnt das Aus gleich nach der Planung, weil sich das Projekt doch nicht verwirklichen lässt, andere stehen seit Jahren, doch der letzte Schritt bis zur Öffnung lässt auf
sich warten. So gesehen, haben die Geschwendaer Glück gehabt.
Als das Förderprogramm aufgelegt wurde, bewarb sich die Gemeinde Geratal darum, weil Bürgermeister Dominik Straube darin eine Möglichkeit sah, das dörfliche Leben aufzuwerten. Nur, wer sollte diese verwirklichen? Am besten ein Lebensmittelkaufmann, einer also, der vom Fach kommt. Der fand sich nicht. Ludwig Reuß hingegen interessierte sich für das Projekt. Und er kam immer mehr zu der Erkenntnis, wenn er es nicht umsetzt, scheitert es, bevor es überhaupt begonnen hat. Für ihn ist es soziales Engagement, sich einzubringen. Der 31-Jährige Reuß, Inhaber eines Büros für Vermögensberatung, fand einen Mitstreiter in Steffen Möller. Der betreibt eine Autowerkstatt und nahm gleich seine Frau Brit mit ins Boot. So war es ein Dreigestirn, das sich nötiges Fachwissen erst aneignen musste, um dem 24-Stunden-Laden Leben einhauchen zu können.
Andere Betreiber gleicher Läden sahen sich durchaus in der Lage, ihr Wissen preis zu geben – allerdings gegen horrende Summen, wie Reuß betont. Darauf verzichtete das Trio, sah sich selbst im Land in einschlägigen Geschäften um – und konzipierte am Ende einen Laden, der sich von anderen seiner Art deutlich abhebt. Die Geschwendaer Unternehmer sind zwar eng an REWE gebunden. Doch die Handelskette lässt ihnen genügend Spielraum. Und so finden immer mehr Waren aus regionaler Produktion ihren Platz in den Regalen. So Fleisch- und Wurstkonserven von Fleischermeister Fratzscher aus Südthüringen, Senf kommt aus Kleinhettstedt. Ständig sind die Drei unterwegs, um neue Lieferanten zu finden.
Brigitte Bornstein aus Geschwenda findet das Klasse. „Seit Jahren konnten wir gar nicht einkaufen, jetzt sogar, wann immer wir wollen.“ Und das Angebot ist aus ihrer Sicht so groß, dass alles zu bekommen ist, was fürs Leben gebraucht wird. Sogar Alkohol, im Gegensatz zu allen anderen 24-Stunden-Läden. Nicht etwa, weil in Geschwenda das Gesetz missachtet wird, sondern weil eine Lösung gefunden ist, mit der das Jugendschutzgesetz eingehalten werden kann. Bier, Wein und Schnaps gibt es in einem gesonderten Verkaufsraum, der sich ebenfalls nur mit der Karte öffnen lässt. Keine Chance also, für unter 18-Jährige da hinein zu gelangen. Übrigens besteht der Markt gerade einmal ein halbes Jahr und die Kundenzahl ist mittlerweile auf 1002 angestiegen. Interesse findet das Konzept auch in den Gemeinden ringsum und bis nach Ilmenau.
Steffen Müller werkelt gerade an einer Bratwurstbude. In Geschwenda soll der Wochenmarkt vor den Platz am 24-Stunden-Markt verlegt werden. „Darauf wollen wir natürlich reagieren. Findet der hier statt, legen wir Bratwürste auf den Rost.“ Nicht nur die soll es geben, sondern auch Kaffee und andere Getränke und im Winter sogar Glühwein. Dem Trio war Lebensmittelhandel ein unbekanntes Feld. Jetzt sind sie in diesem Metier angekommen, ohne die Suche nach weiteren Ideen beiseite gelegt zu haben. Letzteres lässt ahnen, dass die Kundenzahl noch deutlich weiter steigen wird.
Bild: Steffen Müller und Ludwig Reuß räumen Produkte aus der Region (Wurstkonserven und Honig) in die Regale. Auch wenn ein 24-Stunden-Markt in Geschwenda ohne viel Personal auskommt, Regale müssen bestückt, Räume gereinigt werden. Das übernehmen die drei Inhaber selbst. | © Klaus-Dieter Simmen