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Dr. Alexander Krünes hat 2019 seine Arbeit als Stadthistoriker in Gotha aufgenommen. Jetzt, fünf Jahre später, liegt die „Geschichte der Stadt Gotha – Von den Anfängen der Stadt bis 1826“ vor, gedruckt im Leipziger Universitätsverlag. Das Werk, für das neben Krünes als Herausgeber, 39 Autoren Verantwortung tragen, ist in doppelter Hinsicht ein Schwergewicht. Da sind einmal die stolzen zweieinhalb Kilogramm, die es auf die Waage bringt; mehr noch wiegt freilich die inhaltliche Ausrichtung des Buches.
Das widmet sich ausgiebig dem Bürgertum der Stadt. „Natürlich hat Gotha immer schon eine große Bürgergesellschaft gehabt“, sagt der Stadthistoriker, „die sich zu dem sehr aktiv zeigte. In älterer Forschung ist das immer mal wieder in den Fokus geraten.“ Doch seit den 1990er Jahren habe sich das Augenmerk auf das barocke Gotha und folglich auf das Schloss gerichtet. Das neue Buch der Gothaer Stadtgeschichte rückt die Bürgergesellschaft ins Licht, die schon immer neben dem Schloss existierte und natürlich auch von ihm partizipiert hat, jedoch innerhalb der Stadtmauern eine gänzlich andere Dynamik entwickelte.
Auf über 1000 Seiten, wobei allein 146 den Anhängen vorbehalten sind, erlebt der Leser in verständlich gehaltenen Texten das vergangene Gotha in vielfältigen Facetten. Da geht es um die Beziehungen der Stadt zum Umland (Autor Uwe Schirmer), wird untersucht, welche Bedeutung die Residenz Friedenstein als städtischer Kulturort hat (Steffen Arndt) oder wie die Armenfürsorge und das Gesundheitswesen im Spätmittelalter und der Reformationszeit organisiert waren (Julia Mandry). Auch die Verortung der Stadt im Verkehrsgefüge von Mittelalter und früher Neuzeit (Pierre Fütterer) wird thematisiert, um nur einige Beispiele zu nennen.
Das zeigt schon die Intension, mit der Herausgeber und Autoren an die Arbeit gegangen sind. „Es war von Anfang an klar, wir stehen in der neuen ‚Geschichte der Stadt Gotha‘ für eine moderne Historiografie“, sagt Alexander Krünes und verweist darauf, dass diese durch drei wichtige Punkte gekennzeichnet ist. „Einmal, und das ist durchaus banal, gilt es, die Geschichte auf den aktuellen Forschungsstand zu bringen, zweitens sind neue Perspektiven von Bedeutung, etwa der Blick auf Bettler, und drittens muss die Chronik sowohl Laien ansprechen als auch Fachleute überzeugen.“ Das ist gelungen, denn das Buch lebt von reichhaltiger Bebilderung und Texten, die allgemeinverständlich sind und dabei wissenschaftlichen Ansprüchen standhalten.
Der umfängliche Anmerkungsapparat ist ans Ende gesetzt, was bei wissenschaftlichen Publikationen oftmals anders gehandhabt wird und dem Lesefluss entgegensteht. Letztendlich widerspiegelt dieser die wissenschaftliche Seriosität des Werkes. Eine Stadtgeschichte Gothas wurde 1931 mit Band 1 vorgelegt, sieben Jahre später folgte der zweite Band. In keinem der Werke kann der Leser oder Forscher nachvollziehen, woher die Autoren ihre Erkenntnisse hatten oder auf welche Quellen sie zurückgriffen. Anmerkungen dazu fehlen völlig.
Wer 2024 ein Buch über Gothas Stadtgeschichte vorlegt, beschreibt längst bekannte historische Fakten. Jedoch gibt es in dieser Auflage kleine Korrekturen, die manch liebgewordene Legende widerlegen. Viele Gothaer sind überzeugt, dass es die Heilige Elisabeth war, die anno 1223 im Brühl das Hospital gründete. „Nein, es war nicht die Landgräfin“, weiß Krünes, „sondern ihr Gemahl. Ob es allerdings 1223 war, steht auch nicht fest. Wir wissen nur genau, in den 1220er Jahren bekam Gotha das Maria-Magdalena-Hospital.“ Die Heilige Elisabeth kümmerte sich dann doch noch darum, allerdings erst später während ihrer Marburger Zeit. Ins Reich der Fabel verweist der Stadthistoriker ebenso die weitverbreitete Meinung, Gotha bekam den Leinakanal zum Zweck der Trinkwasserversorgung. Die Stadt hatte dafür genügend Brunnen, vor und nach dem Bau des Kanals. Dieser schaffte Brauchwasser in die Stadt.
Hat die Arbeit an dem Buch seine Sicht auf Gotha verändert? „In einigen wenigen Punkten“, antwortet Krünes. Gotha habe für ihn als Landeshistoriker immer schon besondere Bedeutung gehabt. An dem Hof, an der Residenzstadt komme niemand vorbei, der sich mit Thüringer Landesgeschichte beschäftigt. Band 2 übrigens entsteht mit dem gleichen Autorenkollektiv. Die Arbeit daran habe bereits begonnen, sagt Alexander Krünes. Erste Artikel liegen vor. Erzählt wird die Geschichte der Stadt bis zur Neuzeit.
Stadthistoriker Dr. Alexander Krünes und die „Geschichte der Stadt Gotha – Von den Anfängen der Stadt bis 1826“. | © Klaus-Dieter Simmen