Regionalmanagement Thüringer Bogen:
Was so ziemlich unmöglich erscheinen mag, gelingt Dagmar Thume mit überraschender Leichtigkeit: Sie kann zwischen der französischen Metropole Paris und dem ländlichen Raum um Eschenbergen Parallelen herstellen, verblüffende zudem. Paris, sagt sie, entwickle sich zur 15-Minuten-Stadt. Um im Stadtteil alles erledigen zu können, was für den täglichen Bedarf wichtig ist, sollen die Pariser in ihrem jeweiligen Arrondissement nicht länger als 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sein. „Genau das ist auch unser Ziel, nur übertragen auf unsere Dörfer. Wir wollen das ‚15-Minuten-ProvinzNETZ‘, um mit diesem Begriff die angestrebte Radverkehrsförderung im ländlichen Raum zusammenzufassen.“ Wir – dahinter verbergen sich fünf Enthusiasten, Gründer der Initiative „geRADeWEGs“.
Und sie wollen mit den Gemeinden Bufleben, Pfullendorf, Hausen, Ballstädt, allesamt zur Landgemeinde Nessetal gehörig, und Eschenbergen sowie Molschleben eine Modellregion etablieren; eine, in der das Fahrrad die Hauptrolle spielen wird. Denn „geRADeWEGs“ will die betreffenden Orte miteinander verbinden. Zwar ist dort die Infrastruktur mit den Jahren mehr und mehr ausgedünnt, doch punktuell vorhanden. Es gibt Dienstleister, Einkaufsstätten, Gaststätten und Vereine. Nur halt nicht mehr in jedem Dorf. Kein Problem, mag man meinen, sind sie doch nur gerade mal drei Kilometer voneinander entfernt. Also in idealer Entfernung für das Rad. In Städten geht man in diesem Radius auch davon aus, dass beispielsweise Schüler den Weg zu Fuß oder per Rad zurücklegen können.
Nur müssen in dieser Region gegenwärtig die Radfahrer die Straße benutzen, um ins Nachbardorf zu gelangen. Und das ist gefährlich. Die Straßen sind schmal, eine Mittellinie fehlt und dessen ungeachtet reichen manchem Autofahrer die erlaubten 100 Stundenkilometer nicht aus. Da könne man seine Kinder nicht mit gutem Gewissen fahren lassen, sagt Dagmar Thume. Dabei gibt es Wege, die von alters her die Orte miteinander verbinden. „Zwischen Eschenbergen und Bufleben ist ein solcher Weg noch vorhanden, nennt sie als Beispiel, für den Alltag ist dieser aber nicht gut nutzbar. Würde man all diese Strecken wieder als Radwege zurückgewinnen, können die ganze Region davon vielfältig profitieren.“
Stand jetzt ist, wenn eines der Kinder im Nachbardorf im Sportverein z. B. Fußball spielt, müssen es die Eltern mit dem Auto zum Training bringen. Das muss organisiert werden. Kindern, deren Eltern diese „Kinderlogistik“ nicht bewerkstelligen können, nehmen wir diese Chance. Ein Radweg, der direkt dahin führt, macht die Kinder unabhängig. Der Weg zum Friseur beispielsweise oder zum Konsum kann mit dem Fahrrad erledigt werden, innerhalb angestrebter 15 Minuten. Die bislang vorhandenen Radwege in der Region sind eher für den Radtourismus ausgelegt. Diese Wege verbinden die Dörfer an dieser Route. Es fehlt aber die Vernetzung mit den weiteren umliegenden Orten. „Deshalb braucht es den Neubau von Radwegen“, sagt Dagmar Thume, „im günstigsten Fall den Ausbau vorhandener Feldwege.“ Auf diese Weise könne auch der Radverkehr mit zusätzlichen ÖPNV-Linien verbunden werden. Mit dem Rad zum Bahnhof, dort sicher abstellen können und mit dem Zug ans Ziel.
Das umzusetzen, kostet Geld. Geld, das die Dörfer, die die Baulast tragen müssen, nicht haben. Dabei rennen die Mitglieder der Initiative bei den Bürgermeistern der sechs Dörfer offene Türen ein. Sie wissen ein solches Radwegenetz zu schätzen. Wie sie allerdings die zehn Prozent Eigenmittel aufbringen sollen, falls eine Förderung auf den Weg gebracht wird, wissen sie nicht. Überhaupt Fördermöglichkeiten: Der Freistaat fördert Radwege mit zweieinhalb Metern Breite. Da sie auf dem Land drei Meter betragen müssen, um Traktorverkehr zu ermöglichen, muss der halbe Meter Breite mehr über zusätzliche Fördergelder aus einem anderen Programm beantragt werden. „So entsprechen die sicherlich gut gemeinten Fördermöglichkeiten nicht den Realitäten in dörflichen Räumen“, bedauert Thume. Kleinkriegen will sich die Initiative ob der eher vertrackten Situation nicht. Fördermöglichkeiten werden weiterhin organisiert, auch trotz mancher Ablehnung, die bereits hingenommen werden musste. Als „Modellprojekt“ kann die Initiative „geRADeWEGs“ bereits jetzt anhand konkreter Erfahrungen Hemmnisse aufzeigen und Vorschläge zur Verbesserung der allgemeinen Situation der Dörfer in den Diskurs mit einbringen.
Dagmar Thume und Mitstreiter setzen ihre Hoffnung auch auf ein dies ergänzendes Forschungsprojekt, in das „geRADeWEGs“ aufgenommen wurde. In der Modellregion werden Fachleute Befragungen durchführen, Hemmnisse offenlegen und Strukturen fürs Gelingen aufzeigen. Zwei Hochschulen werden drei Jahre ihre Forschung diesbezüglich auf diese Region fokussieren.
Und was in Paris gelingt, das sollte in diesen sechs Thüringer Dörfern exemplarisch fertig gebracht werden. Und so das Leben auf dem Land ein Stück reicher machen, denn dörflicher Radverkehr braucht motivierende Vorbilder.
Bild: Radwege z. B. auf Feldwegen | © Klaus Dieter Simmen