Stadtarchiv Gotha/Regionalmanagement Thüringer Bogen:

Obwohl er selbst nie zuvor in Gotha war, so ist ihm die Silhouette von Schloss Friedenstein wohlbekannt. Sie hängt als Porzellanstück seit Jahrzehnten in seinem Haus in Kalifornien, wo Richard Ruppel seit einigen Jahren lebt und als Professor für Englische Literatur lehrt.

Hergestellt wurde die Miniversion des Gothaer Schlosses in der Porzellanfabrik der jüdischen Familie Simson. Diese ist in Gotha nicht nur für die von ihrer Suhler Verwandtschaft vertriebenen kultigen Motorräder, sondern auch für das sogenannte „Porzellanschlösschen“ bekannt. Im markanten Wohnhaus von Julius und Clara Simson in der Friedrichstraße 19 lebte in ihrer Jugend und später als Witwe auch deren Tochter, Margarethe Simson, Richard Ruppels Großmutter. Richard kannte sie noch als Kind, hat sie aber als strenge und etwas angsteinflößende Dame in Erinnerung. Nach seinem Besuch in Gotha bringt er jedoch mehr Verständnis für seine Großmutter und deren Habitus auf. Schließlich entstammte sie einer der wohlhabendsten und einflussreichsten jüdischen Familien der Stadt. Mit ihrer Flucht in die USA rettete sie ihr Leben, war aber plötzlich mittellos. Wie ihr 1917 geborener Sohn Kenneth (Kurt) Ruppel sprach sie nie über ihre Herkunft und ihr Leben in Deutschland. Ihr Ehemann Richard war der älteste Sohn von Abraham Ruppel, dem Mitbesitzer der Metallwarenfabrik Ruppel, die nicht nur hunderte Arbeitsplätze in Gotha unter vergleichsweise sozialen Bedingungen schuf, sondern heute auch dafür bekannt ist, dass hier einige Zeit die Bauhauskünstlerin Marianne Brandt arbeitete und einige markante Stücke designte.

Richard Ruppel kam am 31. Juli 1874 als ältestes Kind von Abraham und Johanna Ruppel, geb. Frank, zur Welt. Er hatte fünf Geschwister, von denen der Bruder Siegfried als Kind und der Bruder Alfred im ersten Weltkrieg 1918 verstarb. Sein Bruder Louis, der Psychiater war, wurde 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Der Bruder Walter, der ein beliebter Lehrer am Gymnasium Ernestinum war, wurde 1945 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Richards einziger Schwester Jenny gelang gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Margarethe Ende der 1930er Jahre die Flucht in die USA. Richard selbst war bereits Anfang 1931 im Alter von 56 Jahren an einem Herzleiden verstorben, sodass ihm die Verfolgung erspart blieb. Tatsächlich erschien wenige Tage nach seinem Tod ein Nachruf auf ihn in der Gothaer Lokalzeitung, in der er als überaus feinsinnige, bescheidene, selbstlose und hilfsbereite Persönlichkeit gewürdigt wurde. Nur drei Jahre später fand sich der Name von Richards Witwe Margarethe in der Gothaer Lokalzeitung auf einer Liste wieder, welche die örtlichen Juden benannte und vor Umgang mit ihnen warnte.

Richard Ruppel wuchs im Haus zur Goldenen Schelle auf, machte sein Abitur am Gymnasium Ernestinum in Gotha, studierte anschließend Medizin in München, Erlangen und Heidelberg. 1904 ließ er sich als Augenarzt in Gotha nieder. Fünf Jahre später erwarb er die Villa in der Friedrichstraße 7 und ließ sich dort, direkt neben dem Schloss Friedrichsthal gelegen, im Hinterhaus eine Augenklinik errichten. 1910 heiratete Richard Ruppel Margarethe Simson und bekam mit ihr die beiden Söhne Joachim und Kurt, die später beide in die USA fliehen konnten.

Kurts Sohn Richard begab sich nun erstmals im Juli 2024 auf familiäre Spurensuche nach Gotha, um mehr über seinen gleichnamigen Großvater und dessen Familie herauszufinden. Der Kontakt zur Richard Ruppel kam über das Stadtarchiv Gotha zustande, das ihm wichtige Dokumente seiner Vorfahren übergeben konnte. Die Leiterin des Stadtarchivs, Julia Beez, koordinierte dann auch den ersten Besuch Richards und seiner Familie in Gotha. So bekam die Familie eine vom Experten für die jüdische Gothaer Geschichte und versierten Gästeführer Uwe Adam eigens auf die Familiengeschichte zugeschnittene Stadtführung. Richard Ruppel war tief berührt und beeindruckt davon, dass die Gräber seines Urgroßvaters, seines Großvaters und zwei seiner Brüder sowie dessen Schwiegereltern noch auf dem jüdischen Friedhof erhalten sind. Darüber hinaus ist in Gotha sogar eine Straße nach seinem Urgroßvater benannt (Gebrüder-Ruppel-Straße). Viele markante städtische Gebäude, wie zum Beispiel die Goldene Schelle als Geburtshaus oder die direkt neben dem Schloss Friedrichsthal gelegene Augenklinik sind mit dem Namen seines Großvaters Richard Ruppel verbunden. Dies sollte Beweis genug dafür sein, dass die einflussreiche und überaus angesehene Familie Ruppel prägend für die Gothaer Stadtgeschichte war.

Folgerichtig wurde Richard Ruppel am 22. Juli 2024 vom Beigeordneten Peter Leisner gebührend im Büro des Oberbürgermeisters empfangen und gebeten, sich in das Goldene Buch der Stadt einzutragen. Begleitet wurde Richard von seiner Ehefrau, seiner Tochter und seinen Enkelkindern, sodass erstmals seit sehr langer Zeit wieder drei Generationen der Familie Ruppel in der Stadt zugegen waren. Ihren Besuch wird die Familie noch lange in Erinnerung behalten, fiel er nicht zuletzt doch mit einigen runden Geburtstagen zusammen. So jährt sich Richard Ruppel Seniors Geburtstag in diesem Monat zum 150. Mal, Richard Ruppel Junior begeht in wenigen Tagen seinen 70. Geburtstag und sein Enkel Sebastian feierte am 23. Juli 2024 in Gotha seinen 10. Geburtstag. Sichtlich gerührt und geehrt von der freundlichen Aufnahme ist sich Familie Ruppel jetzt schon sicher, dass dies nicht ihr letzter Besuch in Gotha gewesen ist, der Heimatstadt ihrer Vorfahren.

Bild: Richard Ruppel (4.v.r.) und Ehefrau Cathy (3.v.r.) erkunden mit Tochter Sarah (5.v.r.), Schwiegersohn und Enkelkindern sowie der Leiterin des Stadtarchivs Gotha, Julia Beez (1.v.r.), die Stadt. | © Julia Beez

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