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Im herzoglichen Haus gab es an jenem 22. April 1908 ein wahrlich fürstliches Frühstück: Indische Curry-Suppe vom Fasan, Forellenschnitten nach Montmorency, Rehrücken nach deutscher Art, garniert und mit Rahmtunke, Französische Poularde, gebraten, mit Salat und Kompott, Stangenspargel mit Tunke, Rahmbombe mit Schokolade glasiert und Käse und Butter. Lecker, oder? Überhaupt pflegte man auf dem Friedenstein opulent zu speisen. Kibitzeier in Aspik servierten die Diener der teuren Herrschaft, ebenso wie gebratene Waldschnepfen. Andererseits wandte sich der Bäckermeister Friedrich Richter aus Charlottenburg 1915 an den Minister des Innern und bat um Unterstützung für den Vertrieb seines Sparfleisches. Er hatte eine Methode entwickelt, das Blut von Schlachttieren zu entfärben und zu einer festen Masse zu verarbeiten – als Grundlage für Hackbraten oder Fleischklößchen. Erfolg hatte er mit seinem Ansinnen nicht.
Das alles und noch viel mehr ist in der Ausstellung zu entdecken, die am 2. März im Staatsarchiv Gotha eröffnet wurde. Anlass dafür war der Tag der Archive, der alle zwei Jahre einen Blick in jene Bereiche erlaubt, die ansonsten verschlossen bleiben. Deshalb gab es zwiefachen Grund, den Weg in das Landesarchiv in der Justus-Perthes-Straße zu nehmen. Zumal es sich Regierungsdirektor Lutz Schilling als Hausherr nicht nehmen ließ, die Gäste mit dem Archiv vertraut zu machen, das seit 1640 existiert. In all den Jahren ist viel geschrieben worden in den Amtsstuben, gab es Erlasse über Erlasse. Da müsste ein bald vierhundert Jahre altes Archiv doch längst aus allen Nähten geplatzt sein. Das ist nicht geschehen, selbst wenn die zehn Kilometer Akten einen beachtlichen Sammlungsumfang dokumentieren. Von verstaubten Akten kann übrigens gar keine Rede sein. Bei 16 Grad Celsius und 55 Prozent Luftfeuchtigkeit werden sie im Perthes-Forum gelagert. Dort, wo einst gewichtige Druckmaschinen arbeiteten, hält der Boden nun dem enormen Gewicht von vielen Tonnen Papier stand.
Dass der Zuwachs an Akten nicht ausufert, dafür sorgen zehn Mitarbeiter im Gothaer Landesarchiv. „Sie bewerten, was an Gedrucktem aus den Staatsbehörden für uns relevant ist. Wir archivieren davon lediglich ganze drei Prozent. Und diese Auswahl bleibt dann im Archiv“, erläutert Schilling. Insgesamt sind es in und um Gotha 52 Behörden und 500 Schulen, die seiner Einrichtung Akten anbieten. Die drei Prozent für den Bestand müsse sorgsam ausgewählt werden. „Ich begebe mich beispielsweise zum Finanzamt und sage, ich möchte die Steuerakte vom Ministerpräsidenten, vom Olympiasieger, von der Künstlerin und per Zufallsprinzip die Steuerakte von Otto Normalverbraucher“, erzählt der Leiter des Landesarchivs. „Andererseits werden uns von den Behörden Angebote gemacht.“
Beachtliche Schätze haben sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt. Beispiele dafür hat Schilling für die Besucher sorgsam herausgesucht. Dazu zählt ein Brief Goethes, in dem interessiert er sich keineswegs fürs höfische Leben in Gotha, sondern will wissen, wie es hierzulande mit dem Bergbau in Luisenthal oder Catterfeld oder andernorts im Herzogtum bestellt ist. Ein behördliches Schreiben also aus der Feder des Dichterfürsten. Ebenso können die Besucher einen Blick auf einen Staatsvertrag werfen – ausgestellt zwischen dem großen China und dem kleinen Gotha. „Das wirtschaftlich erstarkte Herzogtum wollte Handel treiben, auch mit dem fernen China. Der Vertrag sicherte, dass die Zölle nicht den Gewinn auffraßen“, erzählt Lutz Schilling. Neben dem Vertrag liegt ein Brief von Ludwig XVI., der darin das Herzogshaus über die französische Revolution informierte und den Erstdruck der französischen Verfassung beilegte. An die Hexenprozesse erinnert eine Akte um 1688. Das Besondere daran, die angeklagte Frau hatte erfolglos versucht, sich im Kerker mit dem Frühstücksmesser die Halsschlagader zu öffnen, wie dem Schriftstück zu entnehmen ist. Sie konnte gerettet werden, vermutlich nur, um am Ende auf dem Scheiterhaufen ihr Leben zu lassen. Das blutige Messer allerdings hat der Inquisitionsbeamte sorgsam abgeheftet.
Zwei ganz besondere Stücke sind ebenfalls aus dem Bestand des Geheimen Archivs für die Besucher ans Licht geholt worden, eine Urkunde von Kaiser Barbarossa aus dem Jahr 1179. Darin nimmt er das Kloster Ichtershausen unter seinen Schutz. Dem gegenüber liegt ein von Pabst Urban 1092 verfasstes Schreiben, Empfänger das Kloster Reinhardsbrunn. Beide auf Tierhaut geschriebenen Urkunden präsentieren sich trotz ihres Alters im hervorragenden Zustand.
Zehn Kilometer Akten umfasst das Archiv, drei weitere warten darauf, künftig gefüllt zu werden. Ist das geschehen, dürfte diese Phase enden, unwiderruflich. „Denn bis dahin soll die Digitalisierung in den Ämtern Einzug gehalten haben“, sagt Archivleiter Schilling – nicht ohne Wehmut.
Bild: Lutz Schilling mit einer der Bibeln von Herzog Ernst dem Frommen, auch sie gehört zum Bestand des Landesarchivs in Gotha. | © Klaus-Dieter Simmen