Regionalmanagement Thüringer Bogen:
Charly ist einer der Menschen, die historische Ereignisse nachstellen. Und er tut das, wie alle seine Mitstreiter, mit penibler Akribie. Charly ist Münchner, was nicht zu überhören ist, doch in diesen Tagen trägt er eine Südstaaten-Uniform, die ihn eindeutig als Bürger von North Carolina ausweist. „Dieses Land“, sagt Charly, „stellte allein 130.000 Bewohner für die Konföderiertenarmee. Und es leistete einen großen Beitrag zur Versorgung der Soldaten.“ Über dieses Thema macht ihm kaum einer was vor. Gelegentlich bekommt er den Vorwurf, sich fremde Kultur anzueignen. Da kann Charly nur mitleidig lächeln.
Manchmal fliegt einer rüber übern großen Teich zu uns. Auf der Suche nach Informationen über den Bürgerkrieg, die er zu Hause nicht mehr findet. Antworten gibt es nicht selten. Beispielsweise können sich die Gäste bei uns genau anschauen, wie die Uniformen geschnitten waren und die Nähte verliefen,
sagt er und fügt an, dass er in seinem Hobby Bewahren statt Aneignen sieht. In die Wiege gelegt war das Hobby dem Münchner nicht. Über seine CB-Funk-Leidenschaft bekam Charly Kontakt zur Trucker-Szene und von da wiederum zu Menschen, die sich für den amerikanischen Bürgerkrieg interessierten. Und irgendwann schlüpfte er in seine erste graue Uniform. Wenn er heute daran denkt, muss er schmunzeln. Authentisch sei daran wenig gewesen. Jedoch der Mann war infiziert. Heute nennt er mehrere Uniformen im Originalzustand sein Eigen, mehr als 300 Bücher über diesen Bürgerkrieg hat er gesammelt – und gelesen, aus denen er sein profundes Wissen schöpft.
Charly weiß Bescheid,
sagt Werner Zwingmann, der oberste Befehlshaber der 1st CS Cavalary im Deutschen Kavallerieverband.
Die beiden Männer sind dort Mitglieder. Wobei – der eine, Zwingmann, hat ein Pferd, der andere, Charly, nicht. Das sei gut so, sagt letzterer, denn um ein Tier müsse man sich kümmern, dazu fehle ihm die Zeit. Außerdem braucht’s auch Fußsoldaten, um die Kavalleristen in Szene zu setzen. Und überdies habe er dereinst ebenfalls im Sattel gesessen. Auch als Infanterist hat Charly viel Spaß daran, 160 Jahre später ein Ereignis aufleben zu lassen, das den Verlauf des amerikanischen Bürgerkrieges zwar nicht veränderte, aber viele Menschen vor dem Hungertod bewahrte: nämlich „The Great Beefsteak Ride“. Tausende Kilometer von Virginia entfernt, dem Originalschauplatz, bot die Thüringeti bei Crawinkel im Gothaer Land die eindrucksvolle Kulisse für den wohl spektakulärsten Viehdiebstahl im Wilden Westen, wie Abraham Lincoln zugegeben haben soll.
Damals, am 14. September 1864, zog Generalmajor Hampton mit 3000 Soldaten los. Über 160 Kilometer lagen vor ihnen, um schließlich am 16. September der Unionsarmee mehr als 2000 Rinder zu klauen, die er samt weiterer Beute hinter die Linien der Konföderierten schaffte. Thematisiert wird das auch im Western „Alvarez Kelly“. Nun waren am Wochenende in der Thüringeti keine 3000 Soldaten unterwegs, aber immerhin noch über 100 Akteure, die im Feld campierten, auf blankem Boden in primitiven Zelten schliefen.
Damals lagen sie zu acht im Zelt, erzählt Charly, und wer hinten lag, sollte tunlichst seinen Toilettengang vorm Schlafengehen erledigen. Sollte er nachts raus müssen, bekam er von jedem einen ordentlichen Tritt.
Gekocht wurde stilecht auf offenem Feuer. Und weil auf den weiten Flächen stattliche Rinderherden grasen, konnten die auch hoch zu Pferde getrieben werden. Selbstredend sind Unionssoldaten mittendrin im Geschehen, so dass es kleine Gefechtsdarstellungen zu beobachten gab. Dass im Bürgerkrieg auch farbenfroh gekleidete Zuaven kämpften oder Indianer verschiedener Stämme, widerspiegelte das Spektakel in der Thüringeti ebenfalls.
Er habe lange schon davon geträumt, den „Great Beefsteak Ride“ hier in Crawinkel nachzustellen, sagt Werner Zwingmann, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Der Kavallerie-Verband ist seit Jahren schon mit Meisterschaften Gast in der Thüringeti. Nun erfüllte sich Zwingmann seinen Wunsch. Am Ende konnte er sich für eine gelungene Nachstellung bei allen Beteiligten bedanken. Und die Reiter hatten es ungleich schwerer als ihre historischen Vorbilder: In der Thüringeti mussten die Rinder erst gefunden, ehe sie zu einer Herde vereint und von den Soldaten getrieben werden konnten. Vor 160 Jahren in Virginia waren sie bereits eingepfercht. Gastgeber Heinz Bley, Gründer der Thüringeti, freut sich über solche Gäste.
Wenn im Spätsommer die Brut- und Setzzeit hier endgültig vorbei ist, können derartige Events stattfinden, ohne die Diversität zu beeinflussen,
sagt Bley. Die Rinder seien es übrigens gewohnt, von Reitern getrieben zu werden und machen gern mit. Wissen sie doch, es geht dann auf eine neue Weide mit frischem Gras. Er jedenfalls freue sich, wenn im nächsten Jahr die Südstaatler wieder durch die Thüringeti galoppieren.
Bilder: Wilder Westen in der Thüringeti | © Klaus-Dieter Simmen