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Heinrich heißt der Kerl und ist vor 1884 in diese Welt gekommen, im beschaulichen Gräfenroda. Welche Wege er einschlug, lässt sich nicht mehr verfolgen; feststeht, dass er zuletzt bei einem Sammler in England seine Tage fristete.

Und so muss man es nennen, fristen. Der Zahn der Zeit hat ihm so manches genommen. Den rechten Arm und auch den Suppenlöffel. Und das war der Grund, weshalb der Sammler von der Insel eines Tages in der Zwergstatt Gräfenroda stand und um Restaurierung seines Zwerges bat. Bei Helma Ortmann, Inhaberin der Zwergstatt, Tonwaren-Manufaktur und Museum, schrillten sämtliche Alarmglocken. Ihr war klar, vor ihr steht der älteste in Gräfenroda gefertigte Gartenzwerg. Und der gehört, koste es, was es wolle, ins Museum, das die Geschichte der tönernen Zipfelmützenträger erzählt. Und nicht nur das, mit Heinrich lässt sich mühelos eine Verbindung zwischen dem Thüringischen und den Beatles herstellen. Ganz einfach mittels eines Gartenzwergs, wer hätte das vermutet.

Bis vor Kurzem stammte der älteste Gartenzwerg im Zwergenmuseum in Gräfenroda aus der Fertigung der Firma Eckardt & Mentz. Helma Ortmann schmetterte rigoros jedes Kaufangebot ab. So ein seltenes Stück gehört in unser Museum, war ihr unerschütterlicher Standpunkt. Heinrich hat ihn gründlich verrückt. Dafür, dass dieser in seiner Heimat bleiben konnte, wurde der deutlich jüngere Zwergenkollege ein Engländer. Der Rückkehrer ist rund 45 Kilogramm schwer und immerhin fast einen Meter hoch, was ganz schön gewaltig ist für einen Gartenzwerg. Modelliert wurde er einst in der Werkstatt von Heinrich Dornheim. Eigentlich Landschaftsmaler, war er es, der die Gartenzwerg-Tradition in Gräfenroda begründete.

„Alle, die sich im Ort später mit diesem Handwerk selbstständig machten, egal ob es Balzer & Bock, Eckardt & Mentz, Strobel, Griebel oder Romeiss war, sie alle wurden von Dornheim ausgebildet“,

sagt Helma Ortmann. Und jetzt ist der wohl älteste Gartenzwerg wieder zurück in seinem Geburtsort. Das freut das Team der Zwergstatt in Gräfenroda mächtig.

„Heinrich ist deutlich vor 1890 entstanden, das heißt schon etwas“,

sagt Ortmann, die mit ihrer Firma die Produktion der Tonzwerge aufrechterhält. Und sie ergänzt:

„Sein Bruder ist in England zu Hause. Nicht einfach irgendwo, sondern im Garten von Georg Harrison. Als der Beatle das Haus kaufte, bekam er die Zwergensammlung dazu.“

Sven Berrar, ausgewiesener Gartenzwerg-Experte, erklärt obendrein, dass es sich seines Wissens bei Heinrich und dessen Bruder um die einzigen Exemplare dieser Serie handelt, die weltweit noch vorhanden sind.

Heinrich ist ordentlich lädiert, aber keineswegs so, dass er nicht zu restaurieren wäre. Das haben sich die Chefin und Sven Berrar für die nächsten Monate auf die Fahnen geschrieben. Berrar ist Gärtnermeister, der immer schon ein Faible für Tonzwerge hatte. Als Sammler trug er bislang über 3600 Exemplare zusammen. Und nicht alle waren ob ihres Zustands vorzeigbar. Bei deren Restaurierung sammelte der Zwergenexperte jede Menge Erfahrung. Die kommt jetzt Heinrich zugute, der sich vor einiger Zeit entschloss, sich endlich auch beruflich mit diesen urdeutschen Zwergen zu beschäftigen. Helma Ortmann hat Ergotherapeutin gelernt. Das machte ihr viel Spaß. Noch mehr Freude hat sie, alte Dinge wieder in alter Schönheit erstrahlen zu lassen. In DDR-Zeit restaurierte sie mit Leidenschaft Möbel, später schuf sie Stuckdecken. Damit hat sie Fertigkeiten in Gipsarbeit, die nötig sind, um Heinrich wieder zu früherer Struktur zu verhelfen. Dass er Suppe aus einem Topf löffelt, ist nämlich nicht mehr zu erkennen.

„Jetzt werden wir erst einmal die kleinen Schäden beheben und uns dann Schritt für Schritt daran machen, die großen zu beseitigen“,

verspricht Helma Ortmann. Da Dornheim Landschaftsmaler war, gehen die Gräfenrodaer Experten davon aus, dass der Zwerg einst mit kräftigen Farben bemalt war. Einige Spuren sind noch zu finden, an denen wollen sich die Restauratoren orientieren. Die Öffentlichkeit soll sich am ältesten Gräfenrodaer Gartenzwerg spätestens zum 150-jährigen Firmenjubiläum erfreuen können, das im nächsten Sommer gefeiert werden soll. Zwar ist dieses rechnerisch bereits zum Jahreswechsel, doch da will das Zwergstatt-Team nicht feiern. Gartenzwerg ist mit sommerlicher Fröhlichkeit verknüpft.

Heinrich zeigt auch beschädigt, was ihn und seine Nachfolger von der industriellen Massenproduktion unterscheidet: Charakter! Physiognomie ist so vielfältig wie das Leben selbst, auch bei Gartenzwergen. Die Gesichtszüge sind ausmodelliert, zeigen Freude und Erwartung, Neugier und Fröhlichkeit. Das hörte abrupt auf, als in industrieller Fertigung den Zwergen jede Persönlichkeit abhandenkam. Zum Glück gibt es in Gräfenroda noch die alten Formen, so dass dort Gartenzwerge gegossen werden, denen Individualität mit auf den Weg gegeben ist. Das unterstreicht auch, dass sie von fachkundigen Händen liebevoll bemalt werden. Dafür sorgen neben dem Gärtnermeister mit Hang zum Gartenzwerg Bianka Liebchen, die Porzellanmalerin gelernt hat, und Katja Seils, die ihre Arbeit als Einzelhandelskauffrau gegen die Zwergenwelt eintauschte. Und sie alle sind stolz, dass in ihrer Werkstatt ein Gartenzwerg aufersteht, der eine lange Geschichte und direkten Bezug zu den Beatles hat.

Bilder: In der Zwergstatt Gräfenroda | © Klaus-Dieter Simmen

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