Stiftung Schloss Friedenstein:

„Deutsche Erinnerungslücke KZ Ohrdruf“ ist ein Projekt der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha in Kooperation mit den Arolsen Archives und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Es entsteht in Zusammenarbeit mit den Städten Arnstadt, Gotha und Ohrdruf, der Weimarer Mal- und Zeichenschule, der Bundeswehr sowie dem Staatlichen Schulamt Westthüringen. Es ist Teil des Netzwerk-Projektes „Erinnern vor Ort“ des Anne Frank Zentrums.

Die Erinnerung an die furchtbaren Verbrechen des Nazi-Regimes konzentriert sich in Deutschland vornehmlich auf die Gedenkstätten der großen Konzentrationslager wie Buchenwald und Bergen-Belsen. Diese Fokussierung verdeckt, in wie großer Zahl und wie weit verzweigt die Außenlager auch in der Umgebung der großen Lager eingerichtet waren. Neuere Bestrebungen in der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora gehen jetzt dahin, die vielen kleinen Außenlager verstärkt in den Blick zu nehmen. Allein das KZ Buchenwald hatte über 130 Außenlager, unter denen das KZ Ohrdruf eine besondere Rolle einnimmt, weil es das erste Lager war, das von den Westalliierten befreit wurde.

Das Vermittlungsprojekt „Deutsche Erinnerungslücke KZ Ohrdruf“ der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha und seiner Kooperationspartner setzt sich zum Ziel, diese vorherrschenden Wahrnehmungsmuster zu durchbrechen. Gemeinsam und im beständigen Dialog mit den Besucher*innen bzw. Teilnehmer*innen sollen vor Ort neue Formen der Erinnerungskultur entwickelt werden.

Das Zwangsarbeiter- und Konzentrationslager Ohrdruf

Am 4. April 1945 erreichten amerikanische Soldaten das südlich von Gotha gelegene Konzentrationslager am Ortsrand von Ohrdruf. Es war das erste KZ, das die Westalliierten mit eigenen Augen sahen. Zwischen den Toten stießen sie auch auf noch lebende Häftlinge. Internationale Kriegsberichterstatter wurden nach Ohrdruf gerufen und berichteten von dem „Horror Camp“, gelegen südlich der Drei Gleichen zwischen Ohrdruf, Crawinkel und Arnstadt.

Während in der US-amerikanischen Geschichte zum Zweiten Weltkrieg „Ohrdruf“ ein Begriff ist, ist dieser im Gedächtnis der Deutschen nicht präsent und selbst in der Region mit seinen historischen Implikationen weitgehend unbekannt.

Als eines von über 130 Außenlagern des KZ Buchenwald wurde das Lager Ohrdruf am 6. November 1944 eingerichtet. Zeitweise stand es unter eigenständiger Verwaltung, bevor es ab dem 15. Januar 1945 wieder als Außenlager von Buchenwald geführt wurde. Aus mehreren europäischen Ländern wurden Menschen in das Konzentrationslager Ohrdruf verschleppt, um im nahegelegenen Jonastal in Schwerstarbeit bis zu 14 Stunden täglich Stollen in das Gelände zu treiben. Auf Befehl Adolf Hitlers hatte Heinrich Himmler als Reichsführer SS mit dem Bau mehrerer sogenannter Führerhauptquartiere im Reich begonnen. Mit der Durchführung am Standort Ohrdruf/Jonastal wurde der für Bau- und Rüstungsprojekte verantwortliche SS-Gruppenführer Hans Kammler beauftragt. Zu dem „S III“-Komplex (Sonderbauvorhaben III) gehörten ein Nord- und Südlager bei Ohrdruf, eine Luftmunitionsanstalt in Crawinkel sowie ein Zeltlager bei Espenfeld. Dokumente vom 16. Februar 1945 listen für das Lager den Höchststand von 12.459 Häftlingen auf, während insgesamt etwa 20.000 Häftlinge das Lager durchliefen. 2.795 Tote sind urkundlich nachzuweisen. Insgesamt ist jedoch von mehr als 7.000 Toten auszugehen. Mit dem Näherrücken der Westfront begann die Räumung des Lagerkomplexes am 1. April. Wer nicht mehr gehen konnte, wurde auf dem Weg oder noch im Lager erschossen.

Das Projekt

„Deutsche Erinnerungslücke KZ Ohrdruf“ besteht aus verschiedenen Bildungsmodulen für Gruppen und individuell Interessierte. In einem partizipativ-performativen Zusammenspiel von Jugendlichen/jungen Erwachsenen, Expert*innen, Z(w)eitzeug*innen und Künstler*innen entstehen Inhalte und Formen für einen virtuellen Erinnerungsort Ohrdruf/Jonastal. Es sollen (ästhetische) Formen gefunden werden, um das Nichtdarstellbare darzustellen. Die Ergebnisse gestalten in ihrem Zusammenspiel ein in die Zukunft gerichtetes, unvollendetes Denkmal, das die Möglichkeit bietet, aus der ritualisierten Erinnerungskultur auszubrechen und immer wieder die Frage stellt: „An was wollen wir wie erinnern?“

Die Produkte und Ergebnisse werden im Internet verfügbar sein und auch als Unterrichtsmaterial an Schulen sowie in der musealen Bildung (Workshops, Ausstellungen) angeboten. Perspektivisch sind darüber hinaus physische Verankerungen dezentral im öffentlichen Raum angedacht.

Memory Walk KZ Ohrdruf – Video-Workshop

Das Format basiert auf der Idee des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam, junge Menschen zu ermutigen, sich aktiv mit der Geschichte der Shoah anhand der spezifischen Geschichte ihres Ortes auseinanderzusetzen. Wesentlicher Zugang für diese Auseinandersetzung ist die Frage, wie im lokalen Raum an historische Ereignisse und Entwicklungen erinnert wird und wie diese Erinnerungskultur unseren heutigen Blick auf die Vergangenheit beeinflusst.

Der Workshop besteht aus zwei Ebenen: Theorie und Analyse sowie Praxis und Technik. Ziel ist die kritische Reflexion der Erinnerungskultur allgemein und konkret in der Region und zugleich die Entwicklung von konkreten Produkten in Form von ca. 5-minütigen Kurzfilmen.

#everynamecounts – jeder Name zählt

in Kooperation mit den Arolsen Archives

Wer waren die Menschen, die im Städtedreieck Gotha-Arnstadt-Ohrdruf gefoltert, ausgehungert und getötet wurden? Durch die Teilnahme an der Crowdsourcing-Initiative #everynamecounts der Arolsen Archives arbeitet das Projekt an der Aufarbeitung des UNESCO Weltdokumentenerbes mit. Bei der Datenrecherche begeben sich die Teilnehmer*innen auf die Suche nach den Schicksalen von Verfolgten der NS-Zeit und ermöglichen so Nachfahren, die Geschichte ihrer Verwandten zu erfahren.

Die Teilnehmer*innen erhalten in diesem Modul Kompetenzen im Umgang mit Quellenmaterial und digitaler Datenbankpflege. Ihre Arbeit hat gesellschaftliche und historische Bedeutung, deren direkte Auswirkungen sie erfahren. Allein 2.300 Dokumente zum Eintrag „Ohrdruf“ warten darauf, indiziert zu werden.

Darstellbarkeit des Nichtdarstellbaren – Kunst-Workshops

in Zusammenarbeit mit Künstler*innen sowie der Weimarer Mal- und Zeichenschule

Ziel dieses Workshops ist es, mit den Mitteln der Kunst Formen zu finden, um das Nichtdarstellbare darzustellen. Künstler*innen aus verschiedenen Bereichen führen in die technischen Grundlagen ein und begleiten individuelle Ideen bis zur Fertigstellung. Die entstandenen Arbeiten werden digitalisiert und Teil des digitalen Denkmals.

Genres: Architektur/Baukultur, Comic, Film, Fotografie, Literatur, Malerei, Musik, New Media Art, Skulptur und Plastik, Street Art/Urban Art, Tanz, Theater

Die Oberbürgermeister bzw. Bürgermeister der Städte Arnstadt, Gotha und Ohrdruf übernehmen gemeinsam die Schirmherrschaft des Projektes. Das Projekt wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von „OPEN FRIEDENSTEIN!“. Die Teilnahme an allen Modulen ist kostenfrei (ausgenommen der Fahrtkosten).

Konzeption und Organisation: Dr. Christoph Mauny, Referent für Vermittlung, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Weitere Informationen sowie Kontakte für die Buchung oder Fragen finden Sie auf der Projektwebseite: www.friedenstein.eu/projekte/deutsche-erinnerungsluecke-kz-ohrdruf

Bild: Film-Workshop Memory Walk 2022: Jugendliche unterwegs in Gotha, Ohrdruf und dem Jonastal | © SSFG/Michał Żak

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