TU Ilmenau:

Der Strömungsforscher der Technischen Universität Ilmenau, Professor Jörg Schumacher, erhält für seine exzellente Spitzenforschung über Strömungsturbulenzen einen ERC Advanced Grant, die renommierteste Forschungsförderung der Europäischen Union. Mit der Förderung von 2,5 Millionen Euro für fünf Jahre kann der Forscher nun mit Hilfe von Super- und Quantencomputern Strömungen berechnen und analysieren, wie sie beispielsweise nahe der Sonnenoberfläche auftreten. Der verstärkte Einsatz von Künstlicher Intelligenz in diesem Forschungsbereich könnte in Zukunft zu verbesserten Modellen der Sonnenaktivität und zu präziseren Wetter- und Klimavorhersagen führen. Das MesoComp-Projekt („Order at the Mesoscale: Connecting supercomputing of compressible convection to classical and quantum machine learning“) der TU Ilmenau startet voraussichtlich im Januar 2023.

Mesoskalenkonvektion ist das Schlagwort der Spitzenforschung von Prof. Jörg Schumacher, Leiter des Fachgebiets Strömungsmechanik an der TU Ilmenau und Fellow der American Physical Society. In der Meteorologie spricht man von einem mesoskaligen konvektiven System, wenn sich zum Beispiel Gewitter zu einem größeren Gewitterkomplex zusammenschließen, der mehrere Stunden lang existiert. Weil die Turbulenzen in der Atmosphäre scheinbar chaotisch sind und sich rasch verändern, ist es heute noch schwierig, solche gigantischen Wetterphänomene rasch und zuverlässig vorherzusagen. In globalen Zirkulations- und Klimamodellen, die die Langzeitentwicklung der gesamten Erdatmosphäre beschreiben, fallen diese Mesoskalenkonvektionsprozesse immer noch durch das grobe Rechengitternetz, mit dem Wissenschaftler unsere Erdkugel umspannt haben. In die globalen Zirkulations- und Klimamodelle werden sie, stark vereinfacht, als zusätzliche Wärmeströme eingebaut. Eben diese Modellierung der Prozesse möchte das Projekt MesoComp verbessern. Dazu müssen die Wissenschaftler aber erst die Ursache der scheinbar geordneten Strömungsmuster herausfinden.

Was in der Erdatmosphäre Gewittercluster oder Wolkenstraßen sind, sind nahe der Sonnenoberfläche sogenannte Granulen. Zusammengeschlossen bilden sie riesige, 30.000 Kilometer große Strömungszellen mit einer Lebensdauer von einem Tag. Am Rande solcher Supergranulen treten eruptionsartig dicke Bündel von Magnetfeldlinien aus dem Innern der Sonne in die Sonnencorona hervor. Bei Sonnenstürmen gelangen dann große Mengen energetischer Teilchen in den Sonnenwind in Richtung Erde und können dort große Schäden anrichten: Satelliten können zerstört und sogar ganze elektrische Stromnetze zum Zusammenbruch gebracht werden. Auch das Auftreten dieser Sonnenaktivitäten kann derzeit nicht zuverlässig vorhergesagt werden, da die Bildung der Supergranulen durch Mesoskalenkonvektion noch nicht verstanden ist.

Um schnellere und präzisere Vorhersagen über das Verhalten solcher Strömungsturbulenzen zu ermöglichen, bringt Prof. Jörg Schumacher Ordnung in das Chaos. Anhand numerischer Forschungsmodelle analysiert er mithilfe von Hochleistungsrechnern die, wie Fachleute sie nennen, „geordneten Konvektionsmuster“ Wolken und Granulen. Doch sind solche Modellierungen der Mesoskalenkonvektion immer noch die größte Quelle von Unsicherheiten für präzisere Prognosen der globalen Erderwärmung und folglich auch der Häufigkeit von Extremwetterlagen. Bei Rechenaufgaben der Dimension, die der Ilmenauer Wissenschaftler lösen will, stoßen selbst Hochleistungscomputer heutiger Zeit an ihre physikalischen Grenzen.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen bietet der Strömungsforschung nun vollkommen neue Möglichkeiten, effektive Modellierungen nicht nur zu denken, sondern auch durchzuführen – und so ein ganz neues Verständnis grundlegender turbulenter Strömungen zu gewinnen. Komplexere Aufgaben in kürzerer Zeit zu bewältigen, als herkömmliche Rechencluster, das schaffen theoretisch die um ein Vielfaches leistungsfähigeren Quantencomputer. Für seine Forschungsarbeiten wird Prof. Schumacher auch den Quantencomputer verwenden, der von dem IT-Konzern IBM im baden-württembergischen Ehningen installiert wurde und vom Fraunhofer Kompetenznetzwerk Quantumcomputing betrieben wird – den laut IBM „leistungsstärksten Quantencomputer Europas“. 

Der Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) unterstützt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen, die sich bereits als führende Forscherinnen und Forscher etabliert haben und über eine anerkannte Erfolgsbilanz von Forschungsleistungen verfügen. Er wird, anders als die meisten sonstigen Forschungsförderungen, nicht an Forschergruppen, sondern an Einzelpersonen vergeben. ERC-Grants sind 100-prozentige Förderungen, die alles abdecken, was in einem Projekt anfällt: Personalkosten, Equipment, Verbrauchsmaterialien, Reisen, Publikationen, Unteraufträge usw. Der Strömungsforscher der TU Ilmenau Prof. Jörg Schumacher setzte sich mit seinem MesoComp-Projekt in einem zweistufigen Auswahlverfahren gegen über 1.700 Einreichungen aus der gesamten EU aus allen Wissenschaftsgebieten durch. Zur zweiten Stufe wurde nur ein Drittel der Einreichungen zugelassen, gefördert werden nun nur 253 Projekte – darunter das Projekt von Prof. Schumacher.

Ob die hohen Erwartungen in die neue Technologie Quantumcomputing erfüllt werden können, auch das will Professor Jörg Schumacher im MesoComp-Projekt klären. Denn obwohl die Computerchips schon unter minus 273 Grad Celsius gekühlt werden, um alle möglichen Rauscheffekte zu unterbinden, sind Quantencomputer noch sehr störanfällig. Doch der technische Fortschritt auf diesem Gebiet ist rasant. Allein die Bundesregierung investiert in den kommenden Jahren mehr als zwei Milliarden Euro in diese Zukunftstechnologie. Prof. Schumacher ist zuversichtlich, mit Methoden der Künstlichen Intelligenz datengetriebene Modelle der Mesoskalenkonvektion zu entwickeln, die präzisere und schnellere Vorhersagen ermöglichen werden: „Werden in zehn Jahren Klimamodellierungen auf Quantencomputern laufen? Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen und die damit zusammenhängende Forschung ist riskant. Aber ich würde es nicht versuchen, wenn ich nicht daran glauben würde.“

Bild: Momentaufnahme der Sonnenoberfläche mit dem wabenförmigen Netzwerk aus Granulen, durch das die im Sonneninnern erzeugte Energie als Sonnenstrahlung austritt | © NASA

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