TU Ilmenau:

„Wir wollen den Wald resilienter machen“, sagt Prof. Gunther Notni, Leiter des Fachgebiets Qualitätssicherung und Industrielle Bildverarbeitung (QBV) der TU Ilmenau. Gemeinsam mit der FH Erfurt will der Wissenschaftler sein Know-how dazu nutzen, Thüringen zu einer Vorbildregion für Waldumbau und nachhaltige Waldnutzung zu entwickeln. Dazu nutzt Prof. Notni energieeffiziente, vernetzte Spektral- und 3D-Sensoren, die Aufschluss über Schadstellen oder einen Schimmelbefall der Pflanzen geben und so zum Erhalt des Waldes beitragen.

Vorangetrieben durch die rasante Entwicklung der Computertechnik und den zunehmenden Einsatz von Methoden des Maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz (KI) gewinnt die Bildverarbeitung für fast alle Lebensbereiche enorm an Bedeutung: Um Objekte und Muster zu erkennen und die Qualität von Produkten zu sichern, werden Bildverarbeitungsmethoden in Fertigungsprozessen, im Verkehr, in der Medizin, in der Nahrungsgüterindustrie, der Bauwirtschaft oder der Sicherheitstechnik eingesetzt. Auch im Rahmen der Fernerkundung der Erde sind schon seit vielen Jahren Satelliten mit spektralen Sensoren im Einsatz, die unseren Planeten mit Hilfe mehrerer Aufnahmekanäle beobachten, um Erkenntnisse über den Zustand von Pflanzen und Gewässern zu erhalten. Nach dem gleichen Prinzip funktionieren auch die Bildverarbeitungssysteme, die Prof. Notni und sein Team an der TU Ilmenau entwickeln:

Unsere Kamerasysteme nehmen das Licht bei verschiedenen Wellenlängen auf, das heißt anderes als herkömmliche Kameras nicht nur Rot-, Grün- und Blautöne, sondern ganz viele Farben auch in für das menschliche Auge nicht sichtbaren Spektralbereichen.

Die Einsatzgebiete der mit Hilfe dieser sogenannten multispektralen Kamerasysteme erzeugten zwei- und dreidimensionalen Bilder sind vielfältig, denn mit ihrer Hilfe lassen sich unterschiedlichste Rückschlüsse auf die Eigenschaften eines Objekts ziehen, so Prof. Notni:

Da eröffnet sich ein extrem spannendes Feld, insbesondere für die Analyse von Naturstoffen wie Getreide, Saatgut oder Gestein und die Sicherung der Qualität in ganz verschiedenen Bereichen.

So lassen sich mit multispektralen Aufnahmen beispielsweise Kunststoffe für das Recycling sortieren, aber auch Leiterplatten inspizieren, geerntetes Getreide von Spelzen und Steinen befreien oder der Feuchtegrad von Obst bestimmen:

Wir sehen mit Hilfe automatisierter Sichtprüfung ‚Ist der Apfel noch frisch?‘ und erkennen auch nicht sichtbare Materialfehler bzw. Form-, Farb- und Texturabweichungen wie zum Beispiel Druckstellen auf Äpfeln.

Am Ende interessiere immer die Qualität, so Prof. Notni.

„Es gibt viele zu tun mit Blick auf den Klimawandel“

Seit rund fünf Jahren sind der Ilmenauer Wissenschaftler und sein Team auch im Wald unterwegs. Die Idee dazu kam im Austausch mit Prof. Erik Findeisen von der FH Erfurt, der als Experte für Forsttechnik/Forstnutzung und Holzmarktlehre die Herausforderungen in der Forstwirtschaft kennt.

Im Gespräch haben wir festgestellt: Die Schnittmenge unserer Forschungen ist groß, und es gibt viel zu tun – vor allem mit Blick auf den Klimawandel und den erforderlichen klimaresilienten Waldumbau.

Gemeinsam haben es sich die Wissenschaftler zum Ziel gesetzt, die Digitalisierung in den Wald zu bringen, um so für den Erhalt unserer Wälder entscheidende Fragen zu beantworten: Ist der Wald trocken? Liegt Käferbefall vor? Wie entwickelt sich ein neu gepflanzter Baum?

In aktuellen Projekten vermessen Prof. Notni und sein Team außerdem mit Hilfe von 3D-Sensorik Baumstämme automatisiert, erfassen den Zustand von Waldwegen oder bestimmen die Biomasse von Schwachholz.

Thüringen als Vorbildregion für Waldumbau und nachhaltige Waldnutzung entwickeln

Die große Klammer um all diese Themen und zugleich die Vision der beiden Forschungsteams in Erfurt und Ilmenau ist die gemeinsame Initiative Holz-21-regio: Ziel des 2021 im Rahmen der Projektfamilie „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 8 Mio. Euro geförderten Projekts ist es, die Region Thüringer Wald zu einer Vorbildregion für Waldumbau und nachhaltige Waldnutzung zu entwickeln und die Bevölkerung für die Potentiale des Waldes zu sensibilisieren. „Nicht nur für den Naturschutz“, so Prof. Notni, „sondern auch für die Wirtschaft. Wir machen in Thüringen bisher viel zu wenig aus der Wertschöpfungskette Holz.“

Das hat inzwischen auch die Industrie erkannt: Über 50 Partner aus den unterschiedlichsten Bereichen beteiligen sich bereits an der Initiative. Adressiert werden sollen vor allem drei Themenfelder: der klimaresiliente Waldumbau, Holz als Zukunftsbaustoff und Wertschöpfung durch Holzbau.

Im Aktionsfeld Waldumbau sollen im Rahmen von Beispielprojekten vor allem an der TU Ilmenau entwickelte Technologien zum Einsatz kommen: „Uns geht es nicht darum, welcher Baum wo gepflanzt werden soll, das machen schon andere“, so Prof. Notni: „Wir wollen den Wald begleiten.“ Insbesondere für das Waldmonitoring möchte sein Team energieeffiziente, vernetzte Sensoren und Sensorkonzepte entwickeln, die unter anderem Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Pflanzengröße, aber auch den Einfluss von Schädlingen und konkurrierenden Pflanzenarten erfassen sollen. Dr. Maik Rosenberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet und Projektkoordinator an der TU Ilmenau, erklärt:

Mit unseren Spezialkameras wollen wir demnächst auf Versuchsflächen mit ausgewählten Pflanzen schauen, ob neu angepflanzte Bäume tatsächlich extremen Witterungsbedingungen wie Hitze und Trockenheit standhalten, und ihr Wuchsverhalten beobachten: Sind Schadstellen vorhanden? Gibt es Fraßspuren oder Welke? Sind Hölzer verschimmelt?

Wie groß der Bedarf an Informationen über den Zustand des Waldes in Thüringen ist, zeigen die Anfragen bei Thüringenforst. Deshalb widmet sich auch das Fachgebiet Datenintensive Systeme und Visualisierung unter Leitung von Prof. Mäder der automatischen Erkennung forstlicher Schadorganismen auf Basis von Smartphone-Bildern. Dabei kommen neueste Methoden Künstlicher Intelligenz (KI) zum Einsatz.

Langfristig ist außerdem angedacht, einen vierbeinigen Lauf- und Kletterroboter weiterzuentwickeln, der bei der Bepflanzung und Pflege des Waldes unterstützt.

Wertschöpfungsketten von Holz in den Köpfen etablieren

Auch was Holz als Zukunftsbaustoff und Wertschöpfung durch Holzbau angeht, sehen Prof. Notni und Prof. Findeisen großes Potenzial im Bündnis Holz-21-regio:

Bisher werden die Bäume in Thüringen nur gefällt und vielleicht gerade noch gesägt, aber nicht mehr verarbeitet. Stattdessen wird das Holz direkt nach China verschifft, wo es weiterverarbeitet wird und anschließend als vorverarbeitetes Brett nach Deutschland zurückkommt.

Ziel der gemeinsamen Initiative von Wissenschaft und Industrie ist es, Thüringer Holz wieder in Thüringen zu verarbeiten, zum Beispiel für die Holzspielzeugindustrie oder Fertigbauteile für Holzhäuser, und mit seinen guten bauphysikalischen Eigenschaften für ressourcenschonendes, energieeffizientes Wohnen zu nutzen. Unterstützung bei der Vernetzung von Unternehmen und der Gestaltung kooperativer Wertschöpfungsketten erhoffen sich die Wissenschaftler von Prof. Bergmann, Leiter des Fachgebiets Fertigungstechnik und des Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau. Prof. Notni:

Holz wird nur dann klimaneutral oder sogar klimapositiv, wenn ich es nicht verbrenne, sondern als langlebiges Produkt für die Wertschöpfung nutze: Heute zum Beispiel als Bohle in einem Holzhaus, in 100 Jahren vielleicht als Kochlöffel und in 200 Jahren als Bestandteil der Karosserie eines Autos. So ist das CO2 langfristig gebunden und ersetzt Materialien wie Zement oder Stahl, bei deren Produktion große Mengen an CO2 freigesetzt werden.

Solche Wertschöpfungsketten nachhaltig in den Köpfen der Menschen zu etablieren und Anregungen für eine klimaneutrale Nutzung der Ressource Holz zu geben, auch darum geht es den Wissenschaftlern.

Mehr zu den Forschungen am Fachgebiet Qualitätssicherung und Industrielle Bildverarbeitung (QBV)

Kontakt

Prof. Dr. Gunther Notni, Leiter Fachgebiet Qualitätssicherung und industrielle Bildverarbeitung (QBV)